Der Aufsatz konfrontiert Kant und Heidegger miteinander
in der Perspektive der Frage, wann der „empirische“ Mensch, welcher eine durch
eine Individualgeschichte hindurch währende Identität hat, selbständig und
ganzheitlich ist. Das kantische Ich ist ein reines, inhaltlich indifferentes
Selbstverhältnis im Sinne vom dekartschen „ich denke“. Es versteht das Sein als
Vorhandenheit und die Zeit als Sukzession, und subsumiert unter sich die Erfahrungsinhalte
oder, in der Sprache Kants gesagt, bei ihm herrscht der Verstand über die
Einbildungskraft. In einem ersten Schritt ist zu zeigen, dass dieses sich als
ein- und dasselbe durchhaltende Ich in Heideggers „Sich“ wurzelt, das sich in
der Weise einer ursprünglicheren Zeit immer wieder ereignet. Hier ist das Sein
Ereignis, die Zeit Ekstase, und der Verstand, anstatt, dass er der Einbildungskraft
seine Begriffe voranstellt, lässt er diese sich in der sie transzendierenden
Konstellation einer „ästhetischen Idee frei „assoziieren“. Im zweiten Schritt
ist die Möglichkeit der Interpretation Heideggers aufzunehmen, dass die
transzendentale Einbildungskraft mit der ursprünglichen Zeit identisch ist, die
erst das Ich als „Selbstbewusstsein“ begründet. Die drei Arten von Synthese des
in der Erfahrung Gegebenen, welche von der Sinnlichkeit, der Einbildungskraft
und dem Verstand vollzogen werden, sind als drei Modi einer einzigen Synthese,
nämlich als die drei Ekstasen dieser Zeit auszulegen. Schließlich wird die
Möglichkeit entworfen werden, dass die beiden Seiten des „empirischen“ Menschen
– die vorhandene, in der er seine Identität behält, und die ekstatische, aus
der heraus er sein Sein erhält – komplementär zueinander in der von Carl
Schmitt entwickelten Struktur der Souveränität sind. Nach dieser Möglichkeit
ist das Ich selbständig und ganzheitlich, indem es auf der Grenze steht
zwischen dem „Normalzustand“ seiner Beständigkeit und dem „Ausnahmezustand“
seiner ekstatischen Selbstheit, wo es sich je einem mit anderen geteilten und
daher sich seiner Gewalt entziehenden Geschehen aussetzt. Das souveräne Ich
lässt sich mit der Faktizität der konkreten Situationen „upgraden“, die zu der
es „tragenden“ Existenz gehört und es untergraben würde, wenn sie von ihm nicht
angeeignet ist. Wenn der Mensch sich anmaßt, sich in seinem Ich restlos zu
sammeln, würde er sich von der Welt mit dem narzisstischen Anspruch absondern,
dass er ihr Demiurg sei, würde er sich in der Einbildung im Sinne einer
bodenlosen Phantasie ansiedeln. Umgekehrt, will er ganz und gar sein „Sich“ sein,
finge er in jedem Augenblick aufs Neue an, führte er eine schizophrene Existenz.
1. Die Selbst-Ähnlichkeit des vorstellenden Ichs
Nach Heidegger vermochte Kant nicht, sich der Präsenzmetaphysik
zu entziehen, und dies scheint in der Tatsache hervor, dass er die Anschauung und
das Denken als Vorstellung (repraesentatio) versteht. Im Kontext der
Philosophie Kants steht diese Begriffswahl zwar im Einklang mit dem Grundverständnis,
dass, obwohl der wahr erkannte Gegenstand nur in der Erfahrung zugänglich ist,
er nicht als vollendet in sie hereinkommt und nur im „Akt“ des Verhaltens zu
ihm aufgebaut wird. Dass die Erkenntnis ein Vorstellen ist, bedeutet nicht,
dass sie mit bloßen Erscheinungen zu tun hat. Das Vorstellen bezieht sich auf
die Dinge selbst, d.h. sie sind nicht als abwesende repräsentiert,
substituiert, vielmehr gerade als vorgestellte gegenwärtig, anwesend. Der
Inhalt einer Vorstellung (das Phänomen) ist keine Oberfläche, „hinter“ der sich
das „Ding an sich“ befindet, sondern dasselbe Ding in der Perspektive der
menschlichen Endlichkeit. Für Kant geht diese „Perspektivität“ doch nicht von
einer Endlichkeit im Sinne von Situiertheit im Horizont der Welt aus. Daher ist
der unabdingbare rezeptive, leidende Aspekt der endlichen Erkenntnis, die erfordert,
dass ihr der Gegenstand gegeben wird,
keine Beschränkung, welche etwas anderem zu sein erlaubt, mit dem der Mensch
die Welt teilt, keine Ausgesetztheit dem Seienden gegenüber, die es von sich
her erscheinen lässt. Das Ich der reinen Apperzeption ist transsituativ, d.h.
vorhanden, soweit es, sei es auch inhaltlich leer, als ein- und dasselbe
besteht. Es ist neben seinen Vorstellungen vorhanden, die von ihm ständig
„begleitet“ sind (Kant 1968: 75-76). Wie Heidegger darauf hinweist, artikuliert
der Begriff „Subjekt“, den sein Vorgänger gebraucht, „nicht die Selbstheit des Ich qua Selbst, sondern die Selbigkeit und
Beständigkeit eines immer schon Vorhandenen“ (Heidegger 1957: 320).
Heideggers Mobilisierung in diesem Zusammenhang der ursprünglichen Bedeutung
des subjectum als das zu Grunde Liegende (das Unterliegende), d.h. als das Substanzielle,
steht in keinem Widerspruch zum kantischen Verständnis des Subjekts als einer
absoluten Selbsttätigkeit. Als ein reines, von keiner Andersheit untergrabenes
Selbstverhältnis ist das Ich gleichgültig gegenüber den Erfahrungsinhalten, immer
darauf aus, in ihnen auf seine Vorhandenheit zu verweisen. Deshalb ist das von
ihm vollzogene Vorstellen kein Von-sich-her-zeigen-lassen dieser Inhalte,
sondern deren Vor-stellen, Ver-gegenständlichen. Das vorstellende Ich ist ein
Subjekt (etwas Unterliegendes) gerade dadurch, dass es sich den vorgestellten
Inhalten als das unterstellt, was ihnen vorgezeichnet hat, dass und wie sie
sich vor-stellen (vor ihm zeigen) sollen, um in ihnen sich selbst zu
bestätigen. Freilich ist das Ich des transzendentalen Bewusstseins kein
vereinzelter Mensch in seiner Besonderheit als dieser und keiner anderen,
sondern das für alle gemeinsame Selbstverhältnis, welches sich auf die Weise
des Vorstellens vollzieht. Dennoch, sofern es das Seiende vor sich stellt,
steht es nicht in der Welt, ist es in einem logischen Vakuum gegen sie
abgekapselt (Heidegger 1957: 321).
Wie bekannt, bekunden sich nach Kant die Gegebenheiten
des „inneren Sinns“ als eine Folge von Seelenzuständen. Das, worauf wir in der Erfahrung
von ihnen im Voraus hinblicken, wenn auch nicht als auf einen thematisch zu
erfassenden Gegenstand, ist die Zeit als das reine Nacheinander. Die Zustände,
die wir erfahren, wären keineswegs unsere eigenen im Sinne des sich als ein-
und dasselbe durchhaltenden Ichs, wenn dieses Ich in ihnen sich nicht
widerspiegelt, bestätigt, d.h. wenn es in ihnen als bevorstehenden seine
Gegenwart bereits nicht vorausgesetzt hat. Dies besagt, dass die apriorische
Vorstellung von der Zeit als eine Sukzession auf dem in seiner Identität ausharrenden
Ich selbst gründet, dass sein ständiges Stehen im „Punkt“ der Gegenwart die
Abfolge der Ereignisse auf der „Linie“ der Zeit produziert. Es ist auch
bekannt, dass für den Philosophen aus Königsberg die Zeit, auf deren Weise das
Ich auf seine kontinuierliche Präsenz zurückverweist, die Bedingung der
Möglichkeit jedes gesonderten Inhalts ist, da das Sich-verhalten zu etwas
bedeutet, dass man sich selbst als verschieden von ihm weiß, d.h. dass es sich
zugleich zu sich selbst verhält. Wenn der Mensch zwischen sich selbst und dem
Anderen nicht unterschiede, gäbe es keine entgegenstehenden Dinge, zu denen er
sich verhält, sondern nur „Anreize“, gegen die er sich benimmt, indem er von
„instinktiven“ Schemata benommen ist. In diesem Sinne besteht Kant darauf, dass
„die Zeit die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen überhaupt ist“
(Kant 1968: 46) und daher Vorrang vor dem Raum hat. Aber wie Hegel gezeigt hat,
ist das vorhandene, unmittelbar selbstidentische, den anderen Seienden
gegenüber indifferent verschiedene, oder was dasselbe ist, sich gegenseitig mit
ihnen ausschließende Ich ein totes wie ein Stein Absolutes, kann es sich zu nichts
verhalten – weder zum Anderen noch zu sich selbst. Das Sich-verhalten ist nur möglich
in und aus einer Zusammengehörigkeit, durch die Aneignung der Wegrichtung, in
die der Mensch als ekstatisch stehend im Horizont der Welt (in einer sein Begreifen
übertreffenden und seinen „Blick“ bestimmenden Verweisungsganzheit) „geworfen“
ist. Da sich das Ich der reinen Apperzeption in seinem Grund in Bezug auf das
Andere befindet, besteht es nicht von sich selbst aus, indem es die
Erfahrungsinhalte begleitet, sondern indem es sie unter sich selbst subsumiert.
Obwohl dieses subsumierende Ich zwischen sich selbst und dem Anderen unterscheidet,
verwischt es die Unterscheidung zwischen „inneren“ und „äußeren“ Erscheinungen.
Die Zeit wird Raum, soweit das in ihr Bevorstehende bereits in der Vorstellung vorhanden,
vorgesehen ist (im Voraus gesehen ist wie ein erkennbares Objekt in der Ferne)
und nur noch durch das Durchlaufen einer Landschaft von solchen Gegebenheiten
erreicht werden muss. Umgekehrt verwandelt sich der Raum in eine absolute
„Innerlichkeit“ – indem das Ich alles zu einem Materialisieren seiner
Vorstellungen herabsetzt, indem es keine Grenze an etwas trifft, was außerhalb seiner
Kontrolle steht, teilt es die Welt mit nichts, steht es nichts entgegen, d.h. dass
für das Ich kein „Äußeres“ da ist.
Sofern das Ich in seinem Fundament ekstatisch, nicht bloß
seine Erfahrungen
begleitend ist, indem es
sich selbst als vorhanden, unmittelbar selbstidenitsch versteht, zeigt es sich als eine scheinbare, oberflächliche, sie verstellende Einheit, die sie nur
„virtuell“ bewältigt, und dies genau dann, wenn sie sie
vollständig unter ihre Kontrolle
stellen will. Dieses
Ich steht
ständig in der Gegenwart der
Zeit als Nacheinander und setzt diese seine Gegenwart im Bevorstehenden voraus. Da die Inhalte der sukzessiven Zeit nur in den ihnen vorgezeichneten Hinsichten erscheinen, d.h. soweit, als sie die bloße
Tatsache des Ichs bestätigen und
so seine Beständigkeit
sicherstellen, erweist sich diese Zeit als eine leere Form, die gleichgültig gegenüber sie Erfüllendem ist –
unabhängig davon,
dass sie
kein homogener und isotroper Behälter ist, vielmehr ein subjektiver Rahmen, der sich gleichzeitig mit dem in ihm Gestellten
bildet. Darüber hinaus hat das „Jetzt“ keine „Ausdehnung“,
welche einem Inhalt Ort und Einheit gibt. Es ist eine abstrakte und unhaltbare Grenze, die unaufhörlich aus dem Bevorstehenden nach dem
Vergangenem fließt.
Demnach ist
die Gegenwart, in der der Sich-vorstellende ständig steht, wenn
auch mit dem Inhalt der Vorstellung
erfüllt, ganz und gar leer hinsichtlich der von sich selbst her erscheinenden Inhalte. Es ist der Ort des ständigen Übergehens ihrer Wahrheit als das Ereignis deren Eintretens in die Unverborgenheit,
der Ort des ständigen Verpassens dieses Ereignisses. Das ganz gegenwärtige Ich springt
kontinuierlich zwischen Erwartung und Erinnerung hin und her, ohne den „Augenblick“ festhalten zu können,
da für ihn die Zukunft nur das
Noch-nicht eines in der Vorstellung bereits vorhandenen Inhalts bedeutet,
dessen Vorkommen (Auftauchen
am Horizont als ein im
Vorhinein bekanntes
Objekt) ihn sofort in die
Vergangenheit wegschickt,
d.h. dieses Vorkommen ist
kein Ereignis. Das in der
sukzessiven Zeit Bevorstehende ist schon immer von der ihm vorangestellten Vorstellung
verstellt (verdeckt und entstellt), in jener seiner Seite vorübergegangen, wo
es sich von sich selbst her gezeigt hätte.
Wenn es in „ontologischer“ Hinsicht angenommen wird, das
Ich der reinen Apperzeption wurzelt
in
der ekstatischen Zeit, der hier dargelegten Interpretation,
wonach dieses Ich sich mit den Erfahrungsinhalten nicht trifft, da es ihnen im Voraus
die Möglichkeit abnimmt,
von sich selbst her zu
zeigen, kann es in „ontischer“
Hinsicht entgegengehalten werden, dass im Gegensatz zu den empirischen Begriffen, die apriorischen die Erfahrungsinhalte nicht vorausbestimmen. Es scheint, dass die Stammbegriffe des Verstands (die Kategorien und die Predikabilien) dem Ich eine Art Mindestpräsenz verschaffen, im Bevorstehenden nur seine Fähigkeit antizipieren, die Erscheinungen nach
den ganz allgemeinen
Gesetzen des
Vorhandenen zu erfassen, indem es offen für ihre Besonderheit bleibt. Aus „psychologischer“ Sicht aber träte das Ich,
wenn es zur punktmäßigen Vorhandenheit schrumpft, fast vollständig von seiner Rolle als Garant für die persönliche Kontinuität und
Integrität zurück.
Erstens wäre die
Überlassung der ganzen „Konkretheit“ der
eigenen
Existenz der figürlichen Synthese, die von der Einbildungskraft vollzogen wird und keine
dem Ich zur Verfügung stehenden Begriffe voraussetzt (Kant 1968: 82), was eine immer wieder zu tätigende
Entdeckung der „natürlichen“ und „kulturellen“ Bestimmtheiten bedeutete, ein für die individuelle Beständigkeit
katastrophaler „Überfall“ der
Welt auf das Ich.
Zweitens würde sich die
Person in
ein „für sich“, welches das
abstrakte „Ich
denke“ ist,
und ein „an sich“ entzweien,
das
aus einer Mannigfaltigkeit von Bestimmtheiten besteht, die sich gegenseitig ausschließen, indifferent verschieden voneinander sind, d.h. nicht
in einem sie restlos vermittelnden Zusammenhang zueinander gehören.
Als eine rein
formale, jedem
Inhalt äußerliche
Einheit integriert
das cartesianische Ich die Inhalte der individuellen Existenz nicht zu sich selbst, es bildet keine Mitte, in der sie aufgehoben sind. Aber selbst wenn es
möglich wäre, nach den
„Mindestbedürfnissen“ seiner Vorhandenheit „fromm“ zu leben,
ginge das Ich der Kategorien immer noch an der
Wahrheit über die Welt und sich selbst vorbei, weil der Mensch nicht nur im Aspekt des Vorhandenen, Substanziellen, sondern auch
im Aspekt des
Ekstatischen, Ereignishaften existiert, wo das Denken in „Substanzen“, „Ursachen“ usw. inadäquat, und darüber hinaus verhängnisvoll ist.
Die ekstatische Zeit ist kein objektiver Behälter oder keine
subjektive Vorstellung, vielmehr ist sie selbst die Seinsweise des Menschen[1],
welche Heidegger „Sorge“ nennt. „In“ dieser Zeit ist der Mensch immer
„rechtzeitig“ zum Ereignis des Sich-offenbarens von etwas, denn sie ist keine dem
Geschehenden gleichgültig gegenüber stehende Form, sondern das Geschehen, die
„Generierung“ der Inhalte schlechthin. Wie bekannt, sind hier die zeitlichen
Modalitäten (Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart) Ekstasen, Entrückungen der
Existenz – aber nicht in einem mystisch-rituellen Sinn, vielmehr in dem Sinn, dass
der Mensch, wesentlich über das Bestehende hinaus existierend, sich „außerhalb“
von seinem unmittelbar selbstidentischen, ständig anwesenden Ich befindet
(Heidegger 1957: 329). Man könnte sagen, er ist „vor“ sich selbst in doppelter
Weise: Erstens gewinnt der Mensch sich selbst immer von der Zukunft aus, er
„ist“ niemals einer oder ein anderer, sondern geht jedes Mal in die Richtung
irgendwelchen Seinkönnens. Die Existenz spielt nicht mit Möglichkeiten in der
Vorstellung, vielmehr entwirft sie sich selbst auf sie hin, entscheidet sich
für die eine oder die andere. Da die echte Möglichkeit von Grund auf kein
Besitz eines vorhandenen Ichs darstellt, sondern im Gegenteil, das menschliche
Sein selbst in sie hinein „geworfen“, „geschickt“ ist, ist sie absolut zukünftig,
ganz offen gegenüber dem „Ergebnis“, nicht vorausbestimmt in der Vorstellung
des in der Gegenwart Stehenden. Indem der Mensch sich an eine Möglichkeit
entäußert, die gerade als Möglichkeit behalten und keineswegs nur die
Noch-nicht-Vorhandenheit eines vorgegebenen Inhalts ist, entrückt er sich
gleichsam zum Tod seines Ichs, das in der Gegenwart steht und erwartet, diese seine
Gegenwart im Bevorstehenden zu bestätigen, er läuft „weiter nach vorne“ als
alle dem Ich bevorstehenden „Jetzt“, er überholt es im Abgrund einer von der
Gegenwart nicht usurpierten Zukunft. Diese „Bewegung“ der Existenz ist die
Ekstase der Zukunft. Die zu einer echten Zukunft führende Möglichkeit geht über
die festen und instrumentalisierten Möglichkeiten hinaus, die in der Gegenwart
zur Verfügung stehen und das ausdrücken, was das dort stehende Ich unmittelbar
vermag. Diese unechten Möglichkeiten der Existenz gehören zum „Interieur“ der
Vorstellung, erfordern kein Wagnis und kein Engagement, nach „draußen“ in nicht
sichergestellte Situationen zu gehen. Obgleich sie dem Ich unterworfen sind und
ihm so einen Nimbus der Aktivität verleihen, sind sie eigentlich von ihm passiv
vorgefunden, sie drängen sich ihm im von ihm ständig bewohnten Topos der
Gegenwart zufällig auf. Spontan, dem eigenen Seinkönnen folgend, ist nur
dieser, der sich selbst der Gegenwart beraubt, indem er sich den für sein Ich nicht
verfügbaren Möglichkeiten überlässt und unterwirft. Diese Überlassung und
Unterwerfung ist gerade das Gegenteil von Passivität, denn es setzt eine
Überwindung der Trägheit und Bequemlichkeit der existentiellen „Rezepte“ und ein
entschlossenes Sich-einlassen in die „Unvertrautheit“ und „Unheimlichkeit“
eines unberechenbaren Geschehens voraus.
Auf der anderen Seite ist diese „Aktivität“ jedoch
zugleich „Passivität“, soweit sie sich als eine Unterwerfung unter für das Ich
nicht verfügbare Möglichkeiten vollzieht. Indem der Mensch „weiter nach vorne“
als alles ihm in der Vorstellung Bevorstehendes läuft, findet er sich als schon
einen Weg gehend vor, der von ihm nicht ausgegangen ist. Er überholt sich
selbst als gegenwärtigen, als kontinuierlich nach dem vorausbestimmten
Bevorstehenden fortschreitenden, vom „vorher“ seiner selbst als gegenwärtigen.
Das ist der zweite Sinn, in dem der Existierende in der Weise der ekstatischen
Zeitlichkeit „vor“ seinem Ich ist, bzw. - die Ekstase der Vergangenheit. Diese
ist nicht die Vergangenheit der sukzessiven Zeit, weil die Möglichkeit, welche
dem Projekt des Ichs vorgreift, nie in einem vergangenen „Jetzt“ vorhanden war,
sondern sich gleichzeitig mit dem Vorlaufen „weiter nach vorne“ als jedes
bevorstehende „Jetzt“ konstituiert. Die Vergangenheit als hinter dem Rücken
zurückgelassen ist mit den „Überresten“ von Dingen ausgefüllt, die vergangen
sind, ohne „erkannt“ zu werden, da die Gegenwart den Ort des ständigen
Übergehens ihrer Wahrheit, des ständigen Verpassens des Ereignisses ihres
Offenbarens ausmacht. Psychologisch gesehen ist gerade diese Vergangenheit
nicht wirklich vergangen, bleiben ihre „Gespenster“ auf eine störende Weise
immer noch da, weil ihr Inhalt in ein zeitloses „Unbewusstes“ verdrängt und durcheinander angehäuft worden ist, anstatt man
ihn angesichts seiner Integrierung in die persönliche Einheit zeigen zu lassen.
Kierkegaard folgend, nennt Heidegger die ekstatische Vergangenheit
„Wiederholung“ (Heidegger 1957: 339), da, wie es hervorgehoben wurde, der sich
auf den Weg einer Möglichkeit machende, die nicht von seinem Ich ausgegangen
ist, sich selbst bereits „unterwegs“ vorfindet, bereits etwas vollzieht, was so
möglich gewesen ist. Mit der trennbaren Variante des Verbs spielend, bringt der
deutsche Philosoph auch zum Ausdruck, dass der sich der für sein Ich
gesicherten Möglichkeiten Entäußernde sich vom Abgrund einer nicht
vorherbestimmten Zukunft aus seine eigensten Möglichkeiten wieder-holt,
restituiert, die andererseits nie sein Eigentum in einem Punkt der linearen
Zeit waren. Der sich einer absolut zukünftigen Möglichkeit Überlassende lässt
sich in ihr auf sich selbst als ursprünglich zukünftigen zurückkommen
(Heidegger 1957: 325). Obwohl also die Geworfenheit in eine existentiale Möglichkeit
(das Gewesene) erst vom „Sich-werfen“ in sie als eine nicht sichergestellte
(die Zukunft) geschieht, gehören die beiden Zeitekstasen wesentlich zueinander.
Schließlich ist die ekstatische Gegenwart das
Begegnenlassen von etwas, das Stehen dem in einer Situation Begegnenden
entgegen (Heidegger 1957: 326). Sie geschieht gerade so, dass der Entzug des
eigenen Ichs von Gegenwart den Ort für die Selbstoffenbarung von etwas freigibt,
dass der Verzicht auf die dem Zukünftigen vorangestellten Möglichkeiten diesem
die Möglichkeit gewährt, sich zu zeigen, wie es an sich selbst möglich gewesen
ist, von sich selbst her zu kommen. Wiederum ähnlich wie Kierkegaard reserviert Heidegger den Namen „Augenblick“
für die echte Gegenwart, für die Gleichzeitigkeit des einander Entgegenstehens. Der Augenblick ist die gefüllte
Zeit – nicht das einen willkürlichen und scheinbaren Inhalt enthaltende leere
„Jetzt“, sondern die mit dem Ereignis des Erscheinens eines unvorherbestimmten
Inhalts gefüllte Zeit, die Zeit, welche dieses Ereignis selbst ist. Er ist
keine Gleichzeitigkeit im Sinne einer Mitvorhandenheit, vielmehr in dem Sinne, dass
der dem in einer Situation Begegnenden entgegen Stehende und dieses selbst
ihrer „Begegnung“ nicht vorausgehen, sondern dass sie in deren Zusammengehörigkeit
erst aus ihr entspringen. In der ekstatischen Gegenwart wurzelt der Raum,
wiederum nicht als ein objektiver Behälter oder eine subjektive Vorstellung,
vielmehr als der Ort, welcher vom sich seiner Gegenwart Entäußerten erschlossen
und nach einem konkreten Inhalt „zugeschnitten“ ist, als ein sich vom „hier“ unterscheidendes
und mit ihm „koexistierendes“ „dort“. Eben dieser aus der Zeit entsprungene Raum
stellt eine nicht reduzierbare und „unabhängige“ „Äußerlichkeit“ dar (Heidegger
1957: 369), im Gegensatz zum an sich selbst in der Anschauung gegebenen, doch von
der „Innerlichkeit“ eines absolutisierten Vorstellens assimilierbaren Raum.
Damit aber das Ereignis des Sich-offenbarens von etwas,
das der uneigentlichen Gegenwart nicht bevorgestanden hat, stattfindet, muss es
für jemanden sein. Es ist notwendig, dass der dem Begegnenden entgegen Stehende
sich zu diesem verhält, d.h. seine Gerichtetheit darauf als seine eigene hat.
Sonst wäre er von seiner Zusammengehörigkeit mit dem Anderen auf tierische
Weise benommen, absorbiert, und es erschiene nie als solche. In Heideggers nach
„Sein und Zeit“ entwickeltem Verständnis, dass das Sein Ereignis ist, braucht
es den Menschen im doppelten Sinn von Notwendigkeit und Benutzung, um sich als
Unverborgenheit, als das Verhältnis einer „aktiven“ zu einer „passiven“ Seite zu
ereignen, die sein „immanenter“ Unterschied sind. In diesem Zusammenhang weist die
gemeinsame Wurzel der Worte „Ereignis“ und „Aneignung“ darauf hin, dass das
Sein als Ereignis geschieht, indem es sich den Menschen aneignet, ihn in
Anspruch nimmt, oder anders gesagt, dass der Mensch an einem Ereignis
teilnimmt, indem er sich von sich selbst durch sein Sich-auf-den-Weg-Machen in
nicht verfügbaren existentialen Möglichkeiten entäußert. Damit aber das Sein
als das Ereignis des Sich-erschließens von etwas sich den Menschen aneignet,
muss der Mensch sich selbst den „Blick“ auf das Sich-erschließende zu eigen
machen. Er restituiert die Perspektive, in die er vom Sein „geworfen“,
„geschickt“ ist, als eine solche, die von einem dem vorhandenen Ich
vorgreifenden und mit dem Sein identifizierten Sich ausgeht. Diese zweite
Aneignung ist in „Sein und Zeit“ „Auslegung“ benannt und besteht in der
Artikulation von Inhalten, die der Mensch in seinem Modus des vom Sein
geworfenen schon entworfen hat. Obzwar sie das Haben der Sprache benötigt,
setzt sie keine in der Form von Wörterdingen vorliegende, mit festen Bedeutungen
versehene Sprache voraus. Für Heidegger ist die Sprache ursprünglich nur
Zeichnung, Befestigung der Inhalte, die eine immanente Gliederung irgendwelchen
ereignishaften Zusammenhangs darstellen, d.h. diese Inhalte sind nicht als vorhandene,
auseinander stehende zusammengeballt, sondern von ihrer Stelle im genannten
Zusammenhang bestimmt, sie erhalten ihre Bedeutungen von deren Verweisungen aufeinander. Die Sprache ist die
Ausdrücklichkeit dieser Artikulation, die Hinausgesprochenheit der Rede des Seins
selbst (Heidegger 1957: 160-161). Doch obwohl sie in der eigenen Artikulation
des Seins als das sich in sich selbst unterscheidende Verweisungsganze wurzelt,
macht sie möglich, dass der „Hüter“ und „Bewahrer“ der Unverborgenheit des
Seienden das Bezeichnete von einem An-sich in einem Für-mich als Ich, Subjekt
der „Sprechakte“ umwandelt. Das ständig in der Gegenwart stehende Ich gründet auf
dieser Aneignung der Aneignung, die von seinem ekstatischen Sich vollzogen ist,
auf deren Umkehrung in dauerndem Besitz, im Nachfolgen der Artikulation
„weiter“ als den die Zeitekstasen synthesierenden Augenblick. Das Ich verlässt
allerdings nicht die ekstatische Zeit, „außerhalb“ der es nie als
Selbstverhältnis existieren könnte, sondern wird im Gegenteil dazu ganz durch
ihre Zeitigung in modifizierter Weise gefördert.
Aber wenn das Ich die unechte Existenz ist, die auf der
echten „parasitiert“, folgt daraus, dass die letzte ganz andere in Bezug auf
das Ich ist? Wie aufgezeigt, schwebt die echte Existenz nicht frei „über“ der
Welt, vielmehr enthält sie als deren konstitutives Moment das Verfallen an der Welt,
das Sein beim innerweltlich Begegnenden. Gesetzt, dass das Ich in ihrem Wesen
nicht beteiligt ist, wird es problematisch, zwischen dem Sein zum Tode und dem
besorgenden Sein beim Zuhandenen, d.h. zwischen der eigentlichen und
uneigentlichen Existenz im Modus ihrer Echtheit zu unterscheiden. Letzteres
nimmt eine doppelte Stelle in „Sein und Zeit“ ein[2].
Soweit es mit dem alltäglichen Sein des Man gleichgesetzt ist, werden die Zeitekstasen
einer Modifikation unterzogen. Hier wird die Zeitigung der Zeit wiederum von der
Zukunft aus „in Bewegung gesetzt“, doch im Modus des Gewärtigens – man stellt
dem auf ihn Zukommenden seine Erwartung nicht voran, „handelt“ nicht um seiner
selbst Willen, sondern verliert sich an das Besorgte und versteht sich selbst
von ihm her, aber läuft immerhin nicht entschlossen in den Möglichkeiten vor,
denen es sich anvertraut, vielmehr bedient es sich ihrer instrumental, steht in
Erwartung darauf, rechnet damit, was sie ihm zustellen würden. Diese Seite oder
Version des besorgenden Seins beim Zuhandenen kann unter die bereits
dargelegten unechte Existenz untergestellt werden, da sie trotz ihrer scheinbaren
Rezeptivität das Zukünftige dadurch im Voraus bestimmt, dass die ihr sich
zufällig aufdrängenden Möglichkeiten in der Gegenwart zur Verfügung stehen. Letztere
sind „vorurteilshaft“ im „schlechten“ Sinn – nicht als Perspektiven, welche die
Existenz umfassen und von ihrer Situiertheit im Horizont eines Zeugganzen aus
entworfen sind, sondern als einen im Topos des Jetzt geerbten und allgemein
geteilten Inventar von durchschnittlichen und die Existenz nicht in Anspruch
nehmenden Möglichkeiten der Vorstellung. Sofern aber das besorgende Sein beim
Zuhandenen sich nicht im Verständnis des Seins als Vorhandenheit bewegt, sollte
es ebenso wie das Sein zum Tode in der Weise der ursprünglichen Zeit geschehen.
Das Gehen eines Wegs, der nichts Vorhandenes voraussetzt und von der eigenen
Befindlichkeit im „Kontext“ eines Netzwerks von „funktionellen“ Verweisen ausgeht, die der Präsenz des Ichs vorausgeht,
unterscheidet
sich in nichts vom Vorlaufen in
eine echt zukünftige Möglichkeit, vom Sein zum Ende – nicht als das Ende des vorhandenen Ichs,
sondern als eine Aufnahme der endlichen, nicht vorausbestimmenden Weise, worauf der
Mensch existiert.
Das besorgende Sein beim Zuhandenen restituiert sich
immer wieder aus seiner Selbstentfremdung im Besorgten, „weiß“ sich selbst doch
nur in diesem Augenblick, es gibt kein „dann“, in dem es dieses „sich selbst“ verliert,
d.h. in dem es stirbt. Um das Ende der Existenz, d.h. ihre Offenheit, ein
eigenes Ende, d.h. ein Tod zu sein, um die Existenz sich zu ängstigen, vor der Möglichkeit ihres „Nicht-mehr-dasein-könnens“ (Heidegger 1957: 250, Hervorh. d. Verf.)
stehend, muss sie mithin als sein wesentliches Moment das Ich, die unechte
Existenz enthalten. Einerseits, geht die unechte Existenz ständig aus der
echten durch eine Modifikation der Zeitekstasen hervor, andererseits aber, ist
die zweite als Sein zum Tode nur von der ersten aus zugänglich – nicht in dem
Sinne, dass die Existenz sich „zunächst und zumeist“ in der alltäglichen
Ausgelegtheit des Man bewegt (Heidegger 1957: 267) und ihr authentisches Sein
als eine existentielle Modifikation des Man geschieht, sondern in dem Sinne,
dass ohne ihre „Hypostase“ des Ichs ihr die „Schwelle“ fehlte, von der sie sich
auf den Tod hin richtet.
2. Die rezeptive Spontaneität als Zeit und Selbstverhältnis
Wie bekannt, versucht Heidegger in seinem Kantbuch zu
zeigen, dass die Sinnlichkeit und der Verstand eine gemeinsame Wurzel in der transzendentalen
Einbildungskraft haben und ihr immanenter Unterschied sind. Seine Strategie
besteht generell in der Hervorhebung des Folgenden: Die Sinnlichkeit hat auch
eine aktive Seite, denn sie nimmt ein Bild wahr, das von keinem vorhandenen Seienden
angeboten ist, vielmehr aus einem Sich-ein-bilden, einer Selbst-Affektion entspringt. Zum anderen stellt
das wahre Denken, da der unter seine Begriffe subsumierende Verstand in der
Vorstellung eingesperrt ist, keine reine, formende Aktivität dar, sondern geht auf
die Seienden so zu, dass es sie von ihnen selbst her in Unverborgenheit treten
lässt, d.h. zu ihm gehört eine passive Seite. Denn, wie gezeigt, ist dieses
Lassen ein Vollzug einer eigensten Möglichkeit, d. h. Spontaneität, führt das
Denken wiederum zu einer Selbst-Affektion.
Der Hauptpfand von Heideggers Interpretation liegt darin, dass die spontane
Rezeptivität, welche den Namen „transzendentale Einbildungskraft“ trägt, mit
der ursprünglichen Zeit identisch ist, und dass erst diese Zeit das Ich als ein
Selbstverhältnis gründet. Heidegger stützt sich auf Kants Theorie der
transzendentalen Schematismus, wo „die Einbildungskraft ursprünglich
darstellend im reinen Bilde der Zeit“ ist (Heidegger 1991: 132), aber kehrt zugleich
ihren Sinn um, indem er darauf besteht, dass die Schemata keine apriorische Projektionen
der reinen Verstandesbegriffe auf dem inneren Sinn, sondern eine solche Mitte
zwischen dem Begriff und der Anschauung sind, die sich auf zeitliche Weise
konstituiert und für die die Seiten, zwischen denen sie vermittelt, als ihren immanenten
Unterschied fungieren. In diesem Sinne versucht er zu zeigen, dass die drei
Arten von Synthese des in der Erfahrung Gegebenen, die von der Sinnlichkeit,
der Einbildungskraft und dem Verstand vollzogen werden, drei Modi ein und
derselben Synthese sind, nämlich – die drei Ekstasen der ereignishaften Zeit
(Heidegger 1991: 177-178). Der deutsche Philosoph geht von dem noch in „Sein
und Zeit“ dargelegten Verständnis aus, dass die Zeitekstasen nicht einfach
Entrückungen zu ... sind, vielmehr zu ihnen ein „Wohin“ der Entrückung gehört
(Heidegger 1957: 365), d.h. eine Perspektive, die andererseits, da sie nicht
aus dem vorhandenen Ich hervorgeht, ein ihm unverfügbarer und das „Sehbare“
bestimmender Horizont ist. Die Horizonte der Zukunft, der Gewesenheit und der Gegenwart
„verschmelzen“ in Eins aufgrund der hier bereits erläuterten Einheit der Modi
des „Außer-sich-seins“ (ebd.).
Bei Kant besteht die im Begriff durchgeführte Synthese der
Rekognition in der Identifizierung (Authentifizierung) eines Kreises von
Vorstellungen als zur Einheit eines bestimmten Gegenstands gehörend. Nach Heidegger
hat sein Vorgänger diese Synthese zu Recht dem Begriff zugerechnet, denn der
eigenen Definition des letzteren zufolge ist der Begriff eine Vorstellung, die
als eine und dieselbe für viele andere gilt. Sofern aber für den Phänomenologen
das Denken seine Begriffe dem in der Erfahrung Begegnenden nicht voranstellt, sollte
es keineswegs der Erscheinungen ihre „Bürgerschaft“ in einem bestimmten
Seienden mit Hinblick auf eine Vorstellung anerkennen, die als Selbiges
vorgehalten wird (Heidegger 1991: 185-186). Er beruft sich darauf, dass nach
Kant der Verstand immer auf etwas bezogen ist, das nicht Gegenstand der
Erkenntnis sein, sondern „nur als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption
zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen kann, vermittelst
deren der Verstand dasselbe in den Begriff eines Gegenstandes vereinigt“ (Kant
1968: 151): „Das X ist „Gegenstand überhaupt“. Das bedeutet nicht: ein
allgemeines, unbestimmtes gegenstehendes Seiendes. Dieser Ausdruck meint
vielmehr das, was im Vorhinein den Überschlag über alle möglichen Gegenstände als
gegenstehende ausmacht, den Horizont eines Gegenstehens. Dieser Horizont ist freilich
nicht Gegenstand, sondern ein Nichts, wenn Gegenstand so viel bedeutet wie thematisch
erfaßtes Seiendes.“ (Heidegger 1991: 123) Nach Heidegger hat der Philosoph aus
Königsberg der Synthese im Begriff den Namen „Rekognition“ sehr treffend
gegeben, weil dieses Wort in seiner Bedeutung von „Erkundung“ auf das
vorlaufende Erschließen eines Horizonts hin deutet, von dem aus erst die
Seienden getroffen und als solche „erkannt“ werden können (ebd. 186). Derart
als die Ekstase der Zukunft ausgelegt, zeigt sich die thematisierte Synthese
als diejenige, welche die beiden anderen leitet und begründet (ebd.: 186-187).
Dies ist allerdings keine Bestätigung der in der zweiten Auflage der „Kritik“
vertretenen Auffassung, der Verstand sei „primär“ in Bezug auf die Sinnlichkeit
und die Einbildung, d.h. die transzendentale Einheit des Selbstbewusstseins sei
die Bedingung der Möglichkeit der Einheit, welche die Einbildungskraft dem in
der Anschauung Gegebenen verleiht. Im Gegenteil, hier ist die Synthese im
Begriff grundlegend gerade insofern, als der Begriff in seiner Selbständigkeit
„untergraben“, als ein Moment der sich als Zeit geoffenbarten Einbildung
„aufgehoben“ ist. Soweit der wahre Begriff dem sich in der Anschauung Gebenden nicht
vorausgeht, d.h. sich in einer figürlichen Synthese bildet, stammt er nicht aus
dem Verstand, sondern aus der diese Synthese vollziehenden Einbildungskraft und
ist mit der Konfiguration, die die letzte produziert, d.h. mit dem
transzendentalen Schema identisch.
Bekanntlich sind die von der produktiven Einbildungskraft
gebildeten Schemas reine, aus der Erfahrung nicht herausgezogene, und doch
sinnliche, zur Anschauung gehörende Vorstellungen, durch deren Vermittlung es
möglich ist, die Begriffe auf die ihnen völlig heterogenen Erscheinungen anzuwenden.
Kant unterscheidet zwischen dem Schema als einer allgemeinen, konkret nicht
abbildbaren und dem Bild als einer einzelnen, unmittelbar anschaubaren Form.
Beim Verhalten zu etwas ist das Schema als das gemeint, was regelt und
vorzeichnet, wie dieses aussehen muss, um den Anblick von dem zu bieten, was es
eigentlich ist. Das Schema ist aber kein im Bewusstsein vorhandenes „Muster“,
welches sich neben dem in ihm vorgezeichneten Gegenstand darstellt, es kann
nicht Inhalt eines konkreten Bildes sein, sondern ist ein reines System von
Relationen nach einer Einheitsregel, die von einem Begriff gegeben wird. In
seiner Eigenschaft als ein nicht abzubildendes Vorbild, welches das Erkennen
von etwas als etwas ermöglicht, gleicht es Heidegger zufolge der platonischen
Idee (Heidegger 1991: 94-95). Soweit jedoch das Schema keine Projektion des
Begriffs ist, dem in der Anschauung Erscheinenden nicht vorausgeht, vielmehr
sich gleichzeitig mit seinem Erscheinen konfiguriert, stellt es kein inhaltlich
bestimmtes „Was“ dar, sei es eine Liste von Merkmalen oder ein komplizierter
Zusammenhang, welches in der Erscheinung festgestellt werden soll, damit sie als
ähnlich, als ein Zum-Vorschein-kommen ihres Vorbilds identifiziert wird. In
diesem Fall ist das Schema eine Art formale Form, wird in einem thematisch
unfassbaren „Wie“ gemeint, d.h. in der Weise, wie es das konkrete, sich im
Moment ereignende „Vorstellen“ verwaltet (ebd. 96). Solches „Wie“, das den
„Blick“ übertrifft und leitet, ist gerade der Horizont. Als ein in seiner
Ganzheit unübersehbares und den „Gesichtskreis“ bestimmendes Netzwerk von
gegenseitigen Verweisungen, d.h. als Horizont, gibt das Schema die „Regel“
nicht im Hinblick auf das, was etwas ist, sondern in Bezug auf das, was es
nicht ist, d.h. es beschreibt das Ding nicht positiv als etwas Vorhandenes, unmittelbar
Selbstidentisches, vielmehr stellt es „apophatisch“ dar von seinem Unterschied
innerhalb einer für es konstitutiven Konfiguration von Zusammengehörigkeiten
her. Als ein den Erfahrungsinhalten vorangestelltes und irgendwelchen positiv
gegebenen Gegenstand umreißendes, der keine Zusammenhänge teilt, bleibt das Schema
bei Kant im Vorhandenen. Überdies, mit Ausnahme der Schemata der reinen
Vernunftbegriffe, die nur die allgemeinsten Gesetze des Vorhandenen
vorschreiben, sind die der Erfahrung angeblich vorausgehenden Schemata nicht
von andernorts als daraus gezogen. Letzteres heißt, dass eben sie Abbilder
irgendwelcher Bilder, deren sekundäre und durchschnittliche Schematisierungen
ausmachen. Gleicherweise ist für Heidegger die platonische Idee eine optische, oberflächliche,
von der Position des Vorhandenen wahrgenommene Ansicht eines Verwandtenkreises
von Gegebenheiten, die in den Rang von Übersinnlichkeit und Ewigkeit erhoben
sind. Umgekehrt ist in der obigen Auslegung das Bild, welches als das
„Gesicht“, der „Ausdruck“ eines erkennbaren „Diesseitigen“ fungiert, die
„Signatur“, die „Spur“, welche ein unerkennbares „Jenseitiges“ hinterlassen hat.
Im Gegensatz zu Heidegger und den Romantikern nachfolgend interpretiert Walter
Benjamin die platonische Idee gerade so – als ein transzendentes Ganzes, das
sich in den gegenseitigen Verweisen, im Versammeltsein der von ihm aus
bestimmten Elemente ereignet. Dies, dass etwas Sein als das, was es ist, nur durch
seine Anteilnahme an seiner Idee hat, bedeutet hier, dass es erst als an ihrem
Zusammenhang teilnehmend ins Sein eintritt, d.h. soweit es als einen Teil er-innert,
restituiert wird, in dem sie von sich selbst entfremdet hat, der ihr Anderssein
ausmacht. Die Idee stellt sich nicht als das Vorbild in dem Bild dar, wo das
zweite nur das unvollkommene Abbild oder Erscheinen des ersten ist, sondern wie
das Sein von Heidegger – in der Darstellung eines Inhalts von ihr aus für einen
wiederum von ihr aus gestimmten „Blick“[3].
Solches Schema-Verständnis macht die Unterscheidung zwischen „Schema-Bild“ und
„Bild-Schema“ unnötig, die, wie sich zeigen wird, seinen Platz nur im Kontext
des „empirischen“ Menschen, der die individuellen Selbständigkeit und Ganzheit unterstützenden
oder untergrabenden Beziehungen zwischen Ich und Sich hat. Das Schema ist zwar der
Ursprung eines jeden Bildes und transzendent ihm gegenüber, aber nicht als eine
den Erfahrungsinhalten vorangestellte Projektion irgendwelches apriorischen
Begriffs, sondern als ein sich auf zeitliche Weise konstituierender Horizont
der Erfahrung selbst. Kant scheint sich an ein ähnliches Verständnis mit seiner
Auffassung von ästhetischer Idee anzunähern – eine für den Verstand unfassbare
und in ihrem Sinn unerschöpfliche Vorstellung der produktiven Einbildungskraft,
wo etwas nicht in der Bestimmung, im geschlossenen „Umriss“ seines Begriffs, vielmehr
in einer Konstellation von Affinitäten hervorkommt, die „irrational“ vom
Gesichtspunkt der intellektuellen Subsumtion der Anschauungen unter Begriffe
sind (siehe Kant 1922: 167-168).
Kant weist der Einbildungskraft eigens die Synthese der
Reproduktion zu, d.h. das Behalten und Wiederherstellen der vergangenen
Erscheinungen, die nach der Regel, welche vom Begriff eines Gegenstands
vorgeschrieben ist, in der Anschauung versammelt werden sollen, um dieser
Gegenstand als gegenwärtig zu erscheinen. Allein im Rahmen des kantischen Systems
selbst ist die Einbildungskraft wesentlich produktiv, weil sie nicht den Abdruck,
die Kopie eines in sich selbst bestimmten Inhalts bewahrt. Und nach der
vorliegenden Interpretation macht das Denken selbst den Moment der Spontaneität
an der Einbildungskraft als einer Selbstaffektion aus, der in einem
vorlaufenden Erschließen des Horizonts von etwas Gegenüberstehendem überhaupt
besteht, d.h. der sich in der Weise der ekstatischen Zukunft vollzieht. Wie
Heidegger in „Sein und Zeit“ zeigt, ist jedes Hinausgehen über das Vorhandene nur
als In-sein, d.h. als Stehen in einem Horizont möglich. Dies, dass die
Perspektive, in die sich das Denken auf den Weg macht, vom vorhandenen Ich
nicht ausgeht, sondern ihm vorausgeht, besagt, dass der vom Denken geöffnete
Horizont, von dem aus erst etwas angetroffen werden kann, zugleich ein Horizont
ist, worin sich der Denkende befindet und der über die Möglichkeiten seines
(Selbst-)Verstehens verfügt. Das Übertreffen des Vorhandenen in eine
unvorherbestimmte, absolut zukünftige Möglichkeit vollzieht sich als eine
Übernahme der eigenen Geworfenheit, d.h. als eine Wiederholung,
Wiederherstellung irgendeiner Möglichkeit, die im Sinne der ekstatischen
Vergangenheit gewesen ist – als dem „Projekt“ des ständig in der Gegenwart stehenden
Ichs vorgreifende. In „Sein und Zeit“ bedeutet das Existential „Befindlichkeit“
die Erschlossenheit des Faktums, dass der Mensch je als in eine Welt geworfen ek-sistiert.
Dieses Faktum ist nicht die festgestellte Mitvorhandenheit der anderen Seienden
in der Welt als der Gesamtheit des Seienden, sondern bringt den Menschen vor
der seine eigene Vorhandenheit negierenden Zusammengehörigkeit (in der Welt als
dem Horizont dieser Zusammengehörigkeit) mit solchen Seienden, welche nicht die
Seinsart der Vorhandenheit haben; lässt ihn erfahren, dass er ihnen ausgesetzt
ist, dass sie ihn in seinem An-sich angehen. Bevor die Befindlichkeit (die
Stimmung) als ein „interner“, psychologischer Zustand fungiert, ist sie die
über die unmittelbare Selbstidenität des eigenen Ichs hinaus weisende
Eingewobenheit in den Weltstrukturen (siehe Heidegger 1957: 134-137). Sodass
die „blinde“, „unbewusste“ (Kant 1968: 65) Weise, worauf die „verborgene“ und für den Verstand unerreichbare
Einbildungskraft (ebd. 104) ihre freien Synthesen produziert und das Genie die
festgestellten Begriffe übertreffenden ästhetischen Konstellationen schafft,
ist gerade das „Eintauchen“ ins „phänomenologische“ Unbewusste, d.h. das
entschlossene Sich-begeben auf einen Weg, der von der eigenen, für den optisch
verfahrenden Verstand unsichtbaren Disposition in der Welt vorgezeichnet ist.
Und nur weil die Einbildung produktiv als reproduktiv im erläuterten Sinne ist,
kann sie reproduktiv, wie bei Kant, im Plan des Vorhandenen sein. Wie Heidegger
hervorhebt, gerade aufgrund dessen, dass es sich selbst in seiner wesentlichen Geworfenheit
in der Welt vergessen hat, d.h. dass es sich als vorhandenes, als ursprünglich
und ständig in der Gegenwart stehendes versteht, vermag das menschliche Sein
etwas Vergangenes im Gedächtnis zu behalten. Das ist eine Art Vergessenheit der
Vergessenheit, denn noch in der Weise der ekstatischen Zeit hat die Existenz
schon immer die unbetretenen Wege, in deren „Mitte“ sie sich selbst jeweils
findet, als ihre eigenen zu er-innern, wiederherzustellen. Aber diese
Vergessenheit ist kein Verlassen der ursprünglichen Zeit, sondern wurzelt
zusammen mit dem auf ihr gründenden Ich in dieser Zeit, stellt eine eigene Modifikation
der ekstatischen Vergangenheit dar (siehe Heidegger 1957: 339).
Die dritte Synthese – diese der Apprehension – vollzieht
sich in der Anschauung, deren „Rolle“ darin besteht, etwas in der
Gleichzeitigkeit, Versammeltheit aller zu ihm gehörenden Erscheinungen zu präsentieren.
Soweit das Vergegenwärtigen von etwas auf den beiden anderen Zeitekstasen
gründet, sollte die fragliche Synthese nicht die „erste“, wie bei Kant, sondern
vielmehr die „dritte“ sein. Es wurde bereits gezeigt, dass das leere „Jetzt“
der sukzessiven Zeit keinen Inhalt erfassen kann – weder diesen der von der
Synthese der Apprehension zu sammelnden bloßen Erscheinungen noch jenen des
Bildes, in dem die genannte Synthese sie eingebracht hat – da es im Gegensatz zum
Augenblick keine „Ausdehnung“ besitzt, die Ort und Gesondertheit gewährt. Es
leuchtete auch bereits ein, dass die beiden gleichzeitigen ekstatischen
Bewegungen – die spontane, erst das „Woraufhin“, den Horizont für das
Erscheinen von etwas bildende, was keinen Vorhandenheitscharakter hat, und die
rezeptive, den „Blick“ auf eine Perspektive hingehen lassende, die ihn im
Voraus und „unbewusst“ gestimmt hat – die beiden Seiten einer phänomenologisch
„bearbeiteten“ Einbildungskraft sind. Wie erwähnt ist das Aneignen dieser
Perspektive, das zugleich erst recht das Andere als Anderes entgegenstehen lässt,
von Heidegger „Auslegung“ benannt. Diese Auslegung hat die Struktur eines „Als“
– sie stellt kein in sich geschlossenes, fortdauerndes und unabänderliches
„Was“ heraus, sondern zeigt etwas im Hinblick auf etwas anderes, im Rahmen eines
konkreten Zusammenhangs, wo es als solches oder solches genommen wird
(Heidegger 1957: 148-149). Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Synthese der
Anschauung und des Begriffs vermittels der Einbildungskraft keine Urteilsstruktur
hat, weil sie nicht zwei vorhandenen Vorstellungen verbindet (die einzelne,
bestimmte, und die allgemeine, bestimmende), sondern vielmehr dem „Subjekt“ und
dem „Prädikat“ gegenüber primär ist. Jetzt offenbart sich, dass diese Synthese eine
Auslegung im ausgeführten Sinne ist – ein Zusammennehmen von etwas mit etwas
anderem, worauf es sich bezieht, aber so, dass sie zur gleichen Zeit
auseinander gelegt werden (ebd. 159). Letzteres bedeutet, dass eben weil das
„Subjekt“ und das „Prädikat“ der Relation zwischen ihnen nicht vorausgehen,
sondern sich erst von ihr her, d.h. gleichzeitig konstituieren, es einen Raum
für beide gibt, d.h. dass das „Prädikat“ das „Subejkt“ nicht unter sich selbst subsumiert,
dass jenes dieses nicht „absorbiert“, wobei es seinerseits von der
Scheinbarkeit der Vorstellung „absorbiert“ wird.
3. Die Selbst-Ständigkeit als Souveränität
Anfangs wurde erklärt, dass diese Interpretation durch
die Frage geleitet wird, wann der „empirische“ Mensch selbstständig und
selbstidentisch ist. Wie bekannt, ist für Kant der Mensch ein solcher als
autonom, d.h. als sich selbst bestimmend. Selbstbestimmung besagt ein Setzen
von allem durch sich selbst, mithin – Verhalten in allem zu sich selbst. Der
Philosoph aus Königsberg vertritt die wahre Auffassung, dass das Selbstverhältnis
des Menschen aus der Position einer unmittelbaren Selbstidentität unmöglich
ist. Es findet nur im Rahmen einer Zusammengehörigkeit statt – als ein Gehorsam
gegen das Allgemeinmenschliche im Menschen, gegen das sog. Sittengesetz. Dieses
Gesetz hat keinen festen Inhalt, jeder gibt es sich selbst allein, andererseits
aber ist die ihn zur Welt gebrachte Freiheit keine Willkür, kein an eine gemeinsame Zugehörigkeit nicht
gebundener Ausbruch vom Standpunkt einer absolutisierten, indifferent
verschiedenen gegenüber dem anderen Einzelheit. Hier kann die Freiheit als ein
Stehen in einer Offenheit, Unvorherbestimmtheit gedeutet werden. Der Mensch
bestimmt sich selbst bzw. verhält sich zu sich selbst somit nur dann, wenn er
sich selbst den von ihm nicht vorausbestimmten Möglichkeiten überlässt. Nach
Heidegger ist diese spontane Rezeptivität der autonomen Existenz einzig und
allein in der Weise der ekstatischen Zeit möglich und bedeutet, dass die reine
praktische Vernunft in der als diese Zeit ausgelegten transzendentalen
Einbildungskraft wurzelt (Heidegger 1991: 159-160). Für Kant bildet gerade die
praktische Vernunft die Grundlage der theoretischen, bzw. – des transzendentalen
Bewusstseins. Sie ist es, die überhaupt den Menschen „auf die Beine stellt“, ihn
durch sich selbst „stehend“ macht – nicht von einer „instinktiv“ prästabilierten
Harmonie mit Stützpunkten und Oberflächen benommen, „verschlungen“, die keinen
Charakter von Andersheit haben und gegen die er sich benimmt, sondern vom Anderen
unabhängig existierend und sich zu ihm eben als zum Anderen verhaltend, d.h.
einerseits, darauf von einem „hier“ „hinblickend“, das vom „dort“ nicht
überfallen und überwältigt werden kann, und zum anderen, das Andere in etwas
An-sich zusammenfügend. Doch obwohl dem Vorhaben nach das auf der „Moral“
gründende Ich nicht unmittelbar selbstidentisch, d.h. zu Unterscheidung und
Sich-verhalten unfähig ist, erweist es sich genau als ein solches, sofern es als
in der Gegenwart der sukzessiven Zeit ständig stehend verstanden wird.
„Sein und Zeit“ zufolge ist die Selbst-ständigkeit nur
als ein ekstatisches Stehen im Horizont der Welt möglich: „Die Selbstheit ist
existenzial nur abzulesen... an der Eigentlichkeit des Seins des Daseins als Sorge. Aus ihr erhält die Ständigkeit des Selbst als vermeintliche
Beharrlichkeit des Subjektums seine Aufklärung. Das Phänomen des eigentlichen
Seinkönnens öffnet aber auch den Blick für die Ständigkeit des Selbst in dem Sinn des Standgewonnenhabens. Die Ständigkeit des Selbst im
Doppelsinne der beständigen Standfestigkeit ist die eigentliche Gegenmöglichkeit zur Unselbst-ständigkeit des
unentschlossenen Verfallens. Die Selbst-ständigkeit
bedeutet existenzial nichts anderes als die vorlaufende Entschlossenheit.“
(Heidegger 1957: 322) In der zitierten Stelle geht es auch darum, dass das in
der Gegenwart ständig stehende und sich im Bevorstehenden auf sich selbst
beziehende Ich nicht wie ein vorhandenes Ding beharrt, sich nicht von selbst
durchhält, sondern indem immer wieder aus der ereignishaften Zeit durch eine Modifikation
ihrer Ekstasen entspringt. Als Ursprung des bestehenden Ichs ist hier jedoch gerade
die eigentliche Existenz als Sein zum Tode hervorgehoben, von der gezeigt
wurde, dass sie das Ich als ihr wesentliches Moment enthält. Ohne die
„Hypostase“ des Ichs wäre sie augenblicklich selbst-ständig, aber nicht als eine
und dieselbe bestehend. Außerdem so, wie bei Kant der Mensch nur aus seiner
Zusammengehörigkeit mit den Anderen (in einer universellen moralischen
Gemeinschaft) heraus sich zu sich selbst verhalten, bzw. sich selbst bestimmen
kann, ist bei Heidegger das In-der-Welt-sein zugleich immer ein Mitsein mit anderen.
Der Mensch ist eigentlich „außer“ sich selbst als Vorhandenem einzig dann, wenn
er an der Welt teilnimmt, und um in ihr teilzunehmen, muss er sie mit anderen
teilen. Die ekstatische Offenheit ist nur von einer Grenze und Negativität
bezüglich der illusorischen Unendlichkeit und Allmacht der Vorstellung aus
möglich, die keineswegs von den Zeugen und Dingen selbst auferlegt werden kann,
weil diese nicht imstande sind, „konkurrente“ Weltentwürfe zu erstellen. Diese
Grenze erscheint dank der Möglichkeit des Anderen, zu bekunden, wie er sich
befindet, d.h. dank der Sprache. Das Teilen der Welt mit den anderen wird daher
von ihrem Mitteilen in der Sprache vermittelt. Gerade die Sprache der die
eigene Befindlichkeit bekundende Mitteilung ist jene, worin sich die Teilung,
Gliederung der Welt als ein Verweisungsganzes vollzieht. Dies besagt aber
nicht, dass die Ausgesprochenheit der fremden Mitteilung eine Art Bedingung der
Möglichkeit jeder ekstatischen Offenheit ist. In diesem Fall ginge das
Vorlaufen vom Vorhandenen aus, d.h. es bliebe im Anschein der Vorstellung
stehen, weil es den Inhalt der fremden Aussage durch seine Berücksichtigung
voraussetzen würde. Im Gegenteil, eben damit, dass sie dem Zukünftigen keine
Inhalte voranstellt, ist die vorlaufende Entschlossenheit auf die Stimme des Anderen
gerichtet, hörend, und erst in diesem Hören auf... wurzelt die Möglichkeit,
seine Stimme zu hören (Heidegger 1957: 163).
Das in der Gegenwart ständig stehende Ich ist also nicht bloß
etwas, was auf dem ekstatischen Sich „parasitiert“, vielmehr entspringt es notwendigerweise
aus ihm, sofern das letzte bestehen will. Das Ich kann allerdings seine transzendente
Herkunft vergessen und sich selbst „vergöttlichen“, indem es beansprucht, dass es
dank seiner eigenen Beharrlichkeit von einem sich selbst in der sukzessiven
Zeit bestätigenden aushält. Es ist grundsätzlich unmöglich, nicht nur zu
bestehen, sondern auch überhaupt als von der Welt völlig losgelöst zu „existieren“,
weil das Menschsein immer ein In-der-Welt-sein bedeutet. Soweit jemand mit
einem ähnlichen Anspruch ist, ist er aufgrund eines modifizierten
Geschehens seiner eigentlichen Existenz. Dies besagt aber, dass, während sein
„Bewusstsein“ auf dem transsituativen, demiurgischen und narzisstischen
Standpunkt der Vorstellung steht, sein „unbewusster“ Teil sich in der Welt
weiter befindet und ihre Bestimmungen immer noch erfährt. Als eine scheinbare,
rein reflexive Einheit integriert sein Ich die Faktizität des es tragenden Sich
nicht in sich, ist es keine Mitte, in der sie vermittelt, aufgehoben wird.
Daher ist es nicht eigentlich selbst-ständig, vielmehr von der Perspektive
untergründig regiert, in der es „unbewusst“ situiert ist. Indem das Ich als ein
Herr existiert, nur in seiner eigenen Perspektive ausbrechen will, erweist es
sich als ein Sklave seiner „Natur“, seines „Unbewussten“. Abgesehen von seiner
„Heterogenität“, „Dezentriertheit“, hat das sich selbst im Zukünftigen
sicherstellende Ich, welches gerade die Seite des
Sich-als-ein-und-dasselbe-durchhaltens sein sollte, keine Kontinuität im Aspekt
der individuellen Inhalte. Vom „Gravitationszentrum“ ledig, löst es sich in
seiner momentanen Stimmung auf, deren Quelle – seine eigene Befindlichkeit in
der Welt – für ihn verborgen bleibt. Es stellt sich heraus, dass eben dieser,
der im Bevorstehenden sich selbst als ständig in der Gegenwart stehenden
voraussetzt, sich in eine Folge von zueinander nicht zusammenhängenden
Fragmenten zerstreut. Im Gegenteil, jener, der entschlossen ist, sich einer
unvorherbestimmten Möglichkeit zu überlassen, einem unvorhersehbaren Ereignis auszusetzen,
suspendiert in so etwas wie einem Ausnahmezustand jenen Teil seiner im Topos
der Gegenwart bestehenden Identität, die darauf aus ist, in der konkreten Situation
sich selbst zu bestätigen. Aber wie gezeigt, holt er so eigentlich sich selbst
ein als sich im Horizont der Situation schon immer befindenden, von ihm auf
einen Weg „geschickten“, darauf er sich nicht als vorhanden gemacht hat. Die
„Triebe“ und „Affekte“, welche den Menschen „beunruhigen“ und
„destabilisieren“, stellen jene Aspekte seiner Befindlichkeit (Stimmung) dar,
die „vertrieben“, unartikuliert gelassen und deshalb in sein Ich nicht
integriert sind. Sie führen in die Benommenheit, Besessenheit des tierischen
Lebens zurück, denn das, worauf sie ihn richten, ist kein Unterschiedenes, und
denn dieses Sich-auf-etwas-richten ist kein eigenes, vielmehr hat es den Charakter
eines Zwangs. Deswegen sind sie „Fixationen“, „Traumata“, die in eine
instinktive Wiederholbarkeit hineinziehen, vor dem sich verändernden
Hintergrund des Vorstellens immer wieder inszeniert werden. Indem der Mensch
mit seinen situativen Bestimmtheiten gleichzeitig ist, die er durch die
Inszenierung der Situation in der Vorstellung verdunkeln würde, verhindert er
seine Entzweiung zwischen der virtuellen Selbständigkeit und Integrität seines
Ichs und der unbewältigten, zerstreuten und in „wilden“ Naturwesen
sedimentierten eigenen Faktizität. Er suspendiert sein Ich gerade um es zu
stärken, zu „upgraden“ – indem er es aus seiner Fixierung im immer gleichen
Inventar von verfügbaren Möglichkeiten befreit, lässt er es die Erfahrungsinhalte
nicht nur „virtuell“, sondern auch „faktisch“ erfassen. Der durch die Überwindung
seines vorhandenen Selbst Bestehende ist „ruhig“ und „selbstgewiss“ nicht weil
er eine absolute Selbsterkenntnis erreicht, alle Seiten seiner Befindlichkeit
in der Welt erschöpft hat – die endliche Seinsweise des Menschen besteht gerade
darin, dass er jedes Mal in einem für ihn unverfügbaren und über die „Sachlage“
gebietenden Horizont geworfen ist. Im Gegensatz zu jenem, der alles kontrollieren
will, kann er in Unsicherheit leben, da er ein Zentrum und einen Stützpunkt
besitzt – ein Ich, das einzig und allein darum nachhaltig ist, weil es „mit dem
einen Fuß“ aus der Vorstellung ausgetreten, mit einem Teil seiner selbst offen
für die Welt ist.
In Analogie hierzu wird bei Carl Schmitt die Figur des
Souveräns in einem zentralisierten Staat von der Aufgabe konstituiert, die „Verflüchtigung“
der rechtspolitischen Ordnung in einem „gespenstischen“ System von fixierten
Normen aufzuhalten, das die soziale Faktizität nur scheinbar unter sich
subsumiert. Der Souverän steht in der Zone der Indifferenz zwischen dem Normal-
und dem Ausnahmezustand, wo das Gesetz seines Inhalts entleert, nicht
referenziell ist, um das Bestehen des ersten durch seine Verwurzelung in der
konkreten Situation, die Verschmelzung der rechtlichen Norm und der sozialen
Tatsache sicherzustellen. Seine Entscheidung setzt die bestehende Rechtsordnung
nicht voraus, öffnet den Ausnahmezustand als den Horizont ihres „Todes“ nur im Hinblick
darauf, indem er sich dem konkret Geschehenden aussetzt, es in einer
rechtlichen „Artikulation“ zu ergreifen und es so in dieselbe Ordnung
tatsächlich zu integrieren. Im vorliegenden Kontext steht der selbst-ständige
und in sich Bestand habende Mensch auf der Grenze zwischen dem vorhandenen Ich
und dem ekstatischen Sich, d.h. zwischen dem „Normalzustand“ seines Bestehens als
ein und derselbe und dem „Ausnahmezustand“ seines „Stehens“ durch sich selbst,
Selbstverhaltens. Auf der einen Seite ist das Sich als Sein zum Tode der
grundlose – vom Gesichtspunkt des Vorhandenen – Grund des Ichs, die Bedingung
seiner Möglichkeit. Auf der anderen Seite ist das in der Gegenwart ständig
stehende Ich der Grund, der Boden, in dem die persönliche Identität wurzelt.
Wenn von der kantischen Begrifflichkeit Gebrauch gemacht wird, können je nachdem,
ob das Ich im „Regime“ des Vorhandenen oder des Ekstatischen „funktioniert“,
zwei Aneignungsweisen der Erfahrungsinhalte unterschieden werden: Bei der
ersten, die diese des Vorstellens ist, wird eine intellektuelle Synthese
durchgeführt, d. h. die Erscheinungen werden unter ihnen vorangestellte,
transsituative und instrumental verfügbare Begriffe untergestellt; hier ist die
Einbildungskraft dem an einem außerweltlichen Standpunkt stehenden Verstand
untergeordnet und produziert, angesichts der herrschenden Rolle des Begriffs, „Schema-Bilder“.
Bei der zweiten Aneignungsweise, die jene der ekstatischen Offenheit ist,
findet eine figürliche Synthese statt, d.h. die Erscheinung, in der etwas
Bestimmtes zu erkennen ist, wird nicht von einem vorausbestimmten und
isolierten Begriff bestimmt, sondern so, dass sie in eine für die abstrakte
Logik zufällige Konstellation eintritt; hier ist die Einbildungskraft frei vom
„Diktat“ des sich selbst sicherstellenden „Selbstbewusstseins“ und das von ihr
hervorgebrachte Schema stellt den zeitlich konstituierten Horizont (Rahmen der
gegenseitigen Verweisungen) einer Befindlichkeit dar; dieses Schema könnte verhältnismäßig
„Bild-Schema“ genannt werden, soweit es keine Projektion eines reinen Begriffs
ist, vielmehr sich in der konkreten Erfahrung bildet (wenn es auch aus keinem
in sie hereinbrechenden Bild entspringt). Die subsumierende Aneignung der
Erfahrungsinhalte seitens des vorhandenen Ichs ist eine scheinbare und setzt eine
Sprache voraus, die zur Verfügung steht wie ein Bestand von Wortdingen, welche
auf nivellierte, transsituative und „wörterbuchartig“ gefestigte Bedeutungen
hinweisen. Im Gegenteil, die Sprache der Aneignung von der Position der
ekstatischen Offenheit aus baut sich im Augenblick der Artikulation, erwächst
aus einem Horchen auf die Rede des Seins als die eigene Gliederung des
ereignishaften Zusammenhangs. Sofern jedoch diese echte Aneignung der
Beständigkeit und Ganzheitlichkeit des in der Gegenwart ständig stehenden Ichs dienen
sollte, kann die laut Heidegger „dichterische“ Sprache, in der sie sich
„niederschlägt“, nicht radikal verschieden, absolut unübersetzbar bezüglich der
vorhandenen Sprache sein. Damit ein ekstatisch erschlossener Inhalt in die
Einheit des Ich integriert wird, muss demnach das ihn artikulierende Wort die
Struktur der Verschiebung, der Metapher haben. Kant beschreibt die von einer
freien Einbildungskraft konfigurierte ästhetische Idee gerade als eine
Konstellation, einen „Nebel“ von Metaphern, wo die Konturen der festen Begriffsbedeutungen
verschwimmen und diese Bedeutungen innerhalb einer Unerschöpflichkeit des Sinnes
fluktuieren.
Beim Denker aus Königsberg ist die moralische
Gemeinschaft mit den anderen, die Zugehörigkeit zu der das Selbstverhältnis
bzw. Selbstbestimmen des Menschen ermöglicht, eine abstrakt-universelle – an
ihr nehmen potentiell alle möglichen Menschen kraft ihrer einfachen Bestimmung
als Menschen teil. Dies besagt, dass sie jenseits des endlichen, jeweils in
einem Horizont situierten Menschseins steht. Obwohl nach dem Vorhaben Kants das
Gesetz der universellen moralischen Gemeinschaft keinen fixierten Inhalt hat, da
es zugleich die Freiheit des konkreten Individuums ist, liegt der wahre Grund
für seine Inhaltslosigkeit in der wesentlichen Unerreichbarkeit dieser
Gemeinschaft. In Bezug auf sie befindet sich das Ich in einem Sollensverhältnis,
was bedeutet, dass es mit dem „Über-Ich“, dem es seine Existenz verdankt, stets
nicht identisch ist, dass es ursprünglich in seiner Schuld steht. Es stellt
sich heraus, dass gerade das Sittengesetz, das den Menschen von der Benommenheit
der tierischen Existenz befreit und ihn „auf die Beine stellt“, die Struktur
der Abhängigkeit hat, soweit es transsituativ ist. Das Wesen dieser Abhängigkeit
besteht konkreter darin, dass jener, der sich dem Imperativ der allgemeinmenschlichen
Moral unterwirtft, sich von der einzig echten Gemeinschaft mit den anderen ausschließt
– die mit ihnen geteilte Befindlichkeit in einem „regionalen“ Welthorizont –
und unter die Macht irgendwelcher Vorstellung vom Allgemeinen fällt, die nur in
seiner eigenen Phantasie existiert. Wenn auch „unbewussterweise“, im Gegensatz
zu seiner Absicht, indem er von sich selbst eine transsituative Besorgnis
fordert, sich jenseits seinen konkreten Welt-Horizonten für die Welt als die rein
„optische“ Gesamtheit von allem Seienden verantwortlich fühlt, vergöttlicht er
sich selbst. Es zeigt sich, dass die andere Seite seines moralischen Rigorismus
der Versuch ist, die Vorteile der in seiner Verfassung mit den anderen
geteilten Welt in einer nicht legitimen Art und Weise zu genießen – ohne die Grenze
anzunehmen, darüber hinaus der Andere in seiner Andersheit, Unverfügbarkeit steht,
und so sich der Unsicherheit eines unvorherbestimmten Geschehens auszusetzen. Sein
Unterwerfen gegenüber eine Vorstellung vom Allgemeinmenschlichen, das ihm vor
seinem eigenen, primär „intersubjektiven“ Wesen das Alibi gibt, dass er in
einer Gemeinschaft mit den anderen auch dann ist, wenn er sich nicht bei ihnen in
der Welt befindet, gleicht einem Selbstverkauf an einen inneren Dämon oder
Mafioso. Einerseits ist dieses Allgemeine in Wahrheit von ihm eingebildet, nur
für ihn da, andererseits aber bildet er es sich gerade als etwas „äußeres“, „objektives“
ein. Sein Ich tritt vom Standpunkt einer Mitte, welche die Erfahrungsinhalte
vermittelt und bewältigt, zurück und überantwortet ihn dem internen „Pate“. Und
wie gezeigt, subsumiert jede Vorstellung die Erfahrung nur scheinbar unter sich
und stellt eine allegorische Maske der dunkelsten Seiten der eigenen „Natur“
dar, d.h. der nicht integrierten, ins „Unterbewusstsein“ verdrängten eigenen
Bestimmtheiten, die sich in eine Menge von einer instinktiven Wiederholbarkeit
benommene Tierwesen gesondert haben. Das ausfantasierte moralische Allgemeine könnte
so erhaben sein, wie es möge, es wird allerdings von den für das Ich „undurchsichtigen“
Seiten seines An-sichs, von seiner inneren „Hinterkulisse“ untergründig regiert.
Dergestalt entpuppt sich das Sollen als eine Verschuldung gegen eine
mythisch-mafiosische Kraft. Dieser für das Ich „äußerlicher“, wenn auch
innerpsychischer „Ort der Kontrolle“ und Vermittler zwischen ihm und der Welt, entreißt
ihm die Bestimmung der Souveränität (das souveräne Ich steht „mit einem Fuß“ in
der Welt und braucht daher keinen Vermittler, sondern vermittelt für sich
selbst alle Erfahrungsinhalte). Überdies ist sie jetzt gegen das Ich selbst
gewendet – wie der Held von Kafka steht es vor der offenen Tür des Gesetzes,
wird es in einem permanenten Ausnahmezustand durch ein moralisches Gesetz
gehalten, das unfixiert, nicht referenziell und sich selbst suspendierend eben
deshalb ist, um im Voraus, in einer noch unbekannten Möglichkeit jeden konkreten
Austritt „draußen“ in die Welt zu sanktionieren. Eine solche Möglichkeit ist
keine echt zukünftige, weil in ihr die Vorschriften der inneren Jenseitigkeit
schon immer berücksichtigt sind, weil diese ins Leben hervorgerufen ist, damit
sie dem sie Ehrenden es verbürgt, dass er in die mit anderen geteilten Welt
ausgehen kann, ohne seine narzisstische Totalität verletzt zu werden. Dies ist
eine Art Simulation vom Sein zum Tode, wodurch eigentlich die mythische Kraft den
Menschen in die Falle einer tragischen Schuld tappt. Gerade wenn das mythische
Moralgesetz zulässt, d.h. nicht verbietet, verursacht der Mensch eine Tatsache,
die beweist, dass er kein Recht gehabt hat, nach draußen zu gehen. Die Diskrepanz
zwischen der Absicht und dem Ergebnis kommt daraus hervor, dass, wie bereits
erwähnt, das jenseitige Allgemeine einesteils in die Tiefe der
Situationsbeziehungen nicht vordringt, und andernteils von den „unbewusstesten“
„Neigungen“ geleitet wird. Diese Tatsache trägt die Zweideutigkeit von Schuld
und Unschuld an sich – sie geht von einem Täter aus, der sie nicht beabsichtigt
hat, aber zugleich „fühlt“, dass es so nicht passiert wäre, wenn er nicht
versucht hätte, vor dem Anspruch des allgemeinmenschlichen Wesens auszuweichen,
sich auch zu Menschen, anstatt nur zu Gegenständen zu verhalten. Somit wird
jener, der das ständig „mutierende“, angeblich allgegenwärtige Gesetz, welches
immer beansprucht, bis ins kleinste Detail gewarnt zu haben, ins Leben gerufen
hat, selbst von ihm als Angeklagter in einem endlosen Gerichtsprozess gerufen. Nachdem
er es versteckt begehrt hat, vorhanden, für sich seiend, d.h. unendlich zu
sein, sieht er sich gezwungen, seine Grenzen bis ins Unendliche zu bewahren, seine
Unschuld angesichts des im Vorhandenen herrschenden mechanischen und
unübersehebaren Zusammenhangs der Ursachen und Wirkungen zu beweisen.
LITERATUR
Heidegger, M. 1957. Sein und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer
Verlag.
Heidegger, M. 1991. Gesamtausgabe. Bd. 3. Kant und das
Problem der Metaphysik. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Hermann.
Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann.
Kant, I. 1922. Kritik der Urteilskraft. Herausgegeben von
Karl Vorländer. Leipzig: Verlag von Felix Meiner.
Kant, I. 1968. Werke in zwölf Bänden. Bd. 3. Kritik der
reinen Vernunft. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main:
Suhrkamp.
Schmitt, C. 1934. Politische Theologie. Vier Kapitel zur
Lehre von der Souveränität. München/Leipzig: Duncker & Humblot.
[1] Der Gebrauch von
„Mensch“, „Menschsein“ usw. statt „Da-sein“ im Zusammenhang der Philosophie
Heideggers zielt nicht auf ihre „Anthropologisierung“, sondern nur auf eine
Erleichterung der Aussage ab. Er ist auch dadurch motiviert, dass im
vorliegenden Text das Da-sein nicht hinsichtlich des Sinns vom Sein, vielmehr
der Selbständigkeit und Selbstidentität des seine „Rolle“ spielenden Menschen
thematisiert wird.
[2] Vgl. z.B. Watanabe, J. 1986. Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit bei
Heidegger. // Journal of the Faculty of Letters, The University of Tokyo,
Aesthetics, Vol. 11, 61–75.
[3] Siehe Radenkov,
V. 2010. Die Eschatologie im Denken von Carl Schmitt und Walter Benjamin.
Sofia. Universitätsverlag „Hl. Kliment Ochridski“, 146-159.
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