3. Vorlesung
Platon, I. Teil
Biografische Notiz
I. Das Sein als Idee. Die Idee als Zusammenhang
Das Höhlengleichnis – siehe Anlage.
Das Sinnliche, das unmittelbar Seiende ist viel-seitig:
in diesem Hinsicht – eines, in jenem Hinsicht – anderes. Somit trägt es an sich
den Widerspruch von Sein und Nichtsein, Einem und Vielen. Erstens, insofern es immer
nicht an sich selbst, sondern in Verweisung auf etwas Anderes gegeben ist, hat es
seine Negation an sich, und doch ist es nicht nichtseiend (wie bei Heraklit).
Zweitens, es zerfällt in eine Mannigfaltigkeit von auseinanderliegenden
Aspekten und Beziehungen, die allerdings seine eigenen Bestimmungen bleiben.
Dieser doppelte Widerspruch wird durch die Einsicht aufgehoben, dass solche
Bestimmungen keine Eigen-schaften, Merkmale, Attribute eines Seienden als etwas
Vorhandenes sind, vielmehr gerade das an und für sich Seiende, das es erst als
solches bestimmt und sein lässt. Sie sind das im Sinne von Aspekten der
Stellung des Seienden in einem konkreten ereignishaften Zusammenhang. Nach
Hegels Deutung ist dieser Zusammenhang, der die Einheit von Sein und Nichtsein,
Einem und Anderem (Vielen) darstellt, die Idee. Sie ist keine oberflächliche
Einheit, die das Eine und das Andere (die Vielen, da, zumindest bei den Menschen,
wenn das Andere nur eins ist, wäre es vom Selben „geknechtet“, d.h. der
Möglichkeit entbehrt, von Etwas her bestimmt zu werden, das sich vom Selben
unterscheidet, und würde es somit als Vorstellung und Selbstreferenz dieses
Selben fungieren) unter ein höheres Dritte unterjocht und doch beide als
vorhanden, d.h. auseinander liegende und in anderen Hinsichten sich trennende sein
lässt. Die Idee ist dagegen das Gemeinsame, worin sie gerade als gegeneinander gesetzte
zueinander gehören. Sie ist also die Einheit, für die der Unterschied des Einen
und des Anderen, die Begrenzung, bzw. die Bestimmung des Einen durch das Andere
innerlich, immanent bleibt, d.h. sie ist ein Medium in der schon angeführten
Bedeutung. Anders gesagt, ist sie die sich selbst zeigende Konstellation von Elementen,
die von deren Stellen in ihr aus bestimmt sind und eben darum sich nicht in
einer indifferenten Verschiedenheit einander gegenüberstehen. Diese
Konstellation ist ewig nicht als beständig anwesende, ideel vorhandene, sondern
als einmalige, unwiederholbare. Ein Seiendes ist, was es ist, indem es an einer
Idee teilnimmt, als Teil einer solchen Konstellation zum Vorschein kommt. Die
Idee ist also nicht nur das, was es bestimmt, sein „Was“, Wesen ausmacht, sie
ist auch mit seinem Sein identisch, insoweit Sein „in die Unverborgenheit
treten, Erscheinen lassen“ bedeutet. (Die Unterscheidung von Sein und Wesen,
existentia und essentia ist später herausgebildet. Ursprünglich denkt man das
Wesen eines Seienden nicht als eine feste und an sich seiende Bestimmtheit,
sondern als die Art und Weise, wie es sich zeigt, erscheint, ist, d.h. als sein
Sosein. Und umgekehrt: das Sein bedeutet nicht die bloße, „inhaltslose“
Tatsache, dass ein irgendwie schon bestimmtes Seiende vorgekommen ist, vielmehr
den situativen Zusammenhang, darin es das ist, was es ist.) Wie das Licht, ist
die Idee das, was es ermöglicht, das Seiende zu sehen, und doch selbst
unsichtbar bleibt (Phaidon, 507b-509b). Anders gesagt, gleicht sie dem
Horizont, dem Gesichtskreis, der das Sehen begrenzt und aus dem nicht
hinausgegangen werden kann, der aber gerade dadurch uns zustande bringt, etwas
umgrenztes, bestimmtes überhaupt zu sehen.
Platon nennt „Meinung“ das Verstehen dieser, die
sich nur zum Seienden verhalten, und „Erkenntnis“ das Verstehen jener, die sich
der Differenz von Seiendem und Idee (Sein) bewusst sind und das Seiende
hinsichtlich seiner Idee, d.h. als nicht vorhanden, nur in einer ereignishaften
Konstellation treffbar vernehmen. Während die ersten träumen, da sie den Schein
für das Wahre nehmen, sind die zweiten, die „Philosophen“ heißen, wach
(Politeia, 476b-d, 478d). Der Weg zur Erkenntnis der Ideen ist die Dialektik. In
der Hegels Interpretation ist sie ein Denken, das den Werweis auf ein Anderes,
d.h. die Grenze, die Negation am einzelnen Seienden aufzeigt, aber als
wesentlich, bestimmend für es selbst und für das Andere. Dieses Denken ist
imstande, die stärksten Gegensätze ineins zu bringen und zu ertragen.
II. Die Zweiweltenlehre. Die Idee als Paradigma
Allerdings, wie es Heidegger zeigt, vollzieht sich
bei Platon schon ein Wandel in der Auslegung des Seins, der die Richtung nicht
nur des abendländischen Denkens, sondern auch der abendländischen Geschichte
vorzeichnet. Das wort „idea“ meint dasselbe wie „eidos“, das jeweilige
Aussehen, welches von etwas, was uns begegnet, dargeboten wird. Das Aussehen eines
Dings ist das, worin es als das, was es ist, erscheint, d.h. sein Dass- und Was-sein.
Im Aussehen liegt zum einen, dass etwas in der Unverborgenheit steht, dass es ist, und zum anderen seine
Bestimmtheit, das, was es ist. „Idea“
und „eidos“ werden in einem erweiterten Sinn gebraucht, nicht nur für das mit
den leiblichen Augen Sichtbare, sondern für alles Vernehmbare. Diese Auslegung
des Seins als Idea erwächst zwar aus der anfänglichen Erfahrung des Seins als
Physis, als aufgehendes Scheinen. Allein ist das Erscheinen doppeldeutig. Es
besagt einmal: von einem situationellen Zusammenhang aus, als Element einer ereignishaften
Konstellation hervorkommen. Dann aber heißt Erscheinen: als schon Da-stehendes
eine Oberfläche darbieten, ein Aussehen als Angebot für das Hinsehen. Doch sagt
nicht der durch Heidegger selbst bestätigte Parmenides, dass Sein und
Vernehmung, also das Gesichtete und das Sehen zusammengehören? Gewiss, aber wenn
diese Zusammengehörigkeit als einen von ihnen geteilten situationellen
Zusammenhang verstanden wird. Insofern hier das Gesichtete und der Sehende
nicht vorhanden, sondern von ihrer Teilnahme an diesem Zusammenhang her
bestimmt sind, stellt sich das Sein als Sein des Seienden vor sich selbst als Sein
des Menschen dar, ist es ein Medium. Im zweiten Fall werden dagegen der Mensch
und das Seiende als vorhandene, d.h. auseinander stehende gedacht. Der Mensch
vernimmt nicht die Sache selbst, sondern das Gesicht, das sie macht, sieht sie
nur in einem oder anderem Hinsicht. Dies bedeutet, dass das Sein als Idee vom
Äußeren, Oberflächlichen, Scheinbaren, Fragmentarischen, Mannigfaltigen her ausgelegt
wird. Die Idee als Aussehen ist also kein ereignishafter Zusammenhang, sondern
eine äußere und zufällige, doch ins Übersinnliche hinaufgesteigerte Bestimmtheit.
Hier verbirgt sich der Ursprung der nachfolgenden
Unterscheidung von existentia und essentia: das Dass-sein und das Was-sein gehen
auseinander, indem das zweite hervortritt. Indem das Sein von einem Was-sein
abgeleitet wird, welches das Dass-sein verdrängt hat, d.h. welches sich aus dem
„formalen“ und ereignishaften Zusammenhang der Erscheinung in eine gesonderte
Wasbestimmtheit verwandelt hat, die gegen alle Umstände eine und dieselbe
bleibt, transsituativ ist, umdeutet man das Sein als beständige, fortwährende
Anwesenheit, d.h. als Vorhandenheit. Die Idee wird so zum eigentlich Seienden
erhebt, während das Seiende selbst zu dem herabsinkt, was eigentlich nicht sein
soll und auch nicht ist, weil es sie, das reine Aussehen, in der Werwirklichung
immer verunstaltet, indem es dieses in den Stoff hineinbildet. Die Idee wird
zum Paradigma, Vor- und Urbild, das Seiende – zum Nach- und Abbild. Die
Erscheinung gehört ihrerseits nicht mehr zum Sein selbst, ist nicht das
Hervorkommen von einer ereignishaften und sich selbst zeigenden Konstellation
aus, vielmehr das Auftauchen des Abbilds. Auftauchen, weil das Seiende begegnet
uns nicht in der Gleichzeitigkeit des geteilten situativen Zusammenhangs (worin
keine der beiden Seiten der anderen vorausgeht), im Augenblick des Ereignisses,
sondern als etwas Vorhandenes fungiert, das zuerst nicht ist, dann ist. Wie
gesagt aber ist das Nachgebildete
eigentlich nicht, es existiert nicht an sich selbst, sondern nur insoweit, als
es an einer Idee teilhat. Das bedeutet doch nicht mehr, dass das Seiende ist,
was es ist, indem es an einem situativen Zusammenhang teilnimmt, dass es
ereignishaft statt vorhanden ist, vielmehr dass das Seiende insofern ist, als es
an seinem übersinnlich vorhandenen Vorbild partizipiert. So kann Platon die
sinnliche Dinge, die vielgestaltig sind, sich in verschiedenen Hinsichten
zeigen, also an mehreren Ideen teilnehmen, als komplex, zusammengesetzt bestimmen
(Phaidon, 80b).
III. Der Wandel im Wesen der Wahrheit. Das Auseinandertreten von Physis und
Logos.
Sofern das Abbild sein Urbild nie erreicht, ist
das Erscheinende bloße Erscheinung, eigentlich ein Schein. Da weiterhin das
eigentlich Seiende die Idea und diese das Vorbild ist, muss alle Eröffnung des
Seienden darauf gehen, dem Vorbild gleichzukommen, ihm sich anzugleichen, nach
ihm sich zu richten. Die Wahrheit, welche ursprünglich zum Wesen des Seins
gehört und die „aletheia“, die sich ereignende Unverborgenheit ist, wird jetzt
zur „homoiosis“ und „mimesis“, zur Angleichung, zum Sichrichten nach..., zur
Richtigkeit des Vernehmens. Und zwar eines Vernehmens, das ein Vorstellen ist,
d.h. ein Stellen des Seienden vor uns, als etwas vorhandenes, einem Hinsehen
entgegenstehendes, draußen liegendes und zugleich innerlich rekonstruierbares. Obwohl
das Hinsehen das Seiende selbst erfassen will, wird es nicht von diesem selbst,
d.h. vom Horizont der Situation, sondern von innerlich angeschauten mathematischen
Idealitäten geleitet. So wird die Kluft zwischen einer wahren, übersinnlichen
und einer scheinbaren, sinnlichen Welt aufgerissen. Indem man die Physis nicht
mehr als das Sein selbst, sondern als das unmittelbar Erscheinende betrachtet,
das Wahre über sie hinaus verlegt, wird die Philosophie zur Meta-Physik.
Im anfänglichen Denken tritt der Logos als
„legein“ der Physis gegenüber, aber nicht aus ihr heraus. Das ist eine
Unterscheidung, die immanent für das Sein als Medium, d.h. als das, was in sich
nichts außer sich selbst zeigt, bleibt. Das Sein stellt sich als Physis vor
sich selbst als menschlichem Logos dar. Dieses Selbstverhältnis transzendiert
das Vorhandene, geschieht über es hinaus. D.h. das Menschsein ist keine
Vorhandenheit, die den Logos handhabt, sondern umgekehrt, der Logos als die vom
Sein selbst gebrauchte (benötigte und benutzte zugleich) Eröffnung und
Bewahrung der Unverborgenheit des Seienden ist das Geschehnis, das den Menschen
hat, von dem aus der Mensch erst ist.
Der Mensch ist auf eine wahrhafte Weise, wenn er dem Anspruch des Seins entgegenkommt,
d.h. wenn er die Situation, darin er sich je und je befindet, übernimmt. Dies
besagt: das Seiende von deren Zusammenhang her artikuliert. Infolge der
Auslegung der Idee als Aussehen treten aber der Mensch und das Seiende als vorhandene
auseinander. Da behauptet sich ein Logos, welcher der Artikulierung der
jeweiligen Situation entzogen, nicht mehr deren eigene Gliederung, sondern
selbst etwas vorfindliches in der Form von Laut- oder Schriftzeichen ist, als den
Ort, wo über die Wahrheit entschieden wird. Der Logos bedeutet jetzt „etwas
über etwas sagen“. Das, worüber gesagt wird, ist das jeweils der Aussage
Vorliegende, „hypokeimenon“ (subjectum). Vom Logos als dem zur Aussage
verselbständigten her gesehen, ergibt sich das Sein als dieses Vor-liegen. Die
Inbesitznahme des Logos seitens des Menschen als etwas vorhandenes vollendet
sich dann in seiner Auslegung im Sinne von menschlichem Vermögen, von Verstand
oder Vernunft. Der „autonomisierte“, doch schon immer mit Bedeutungen, deren
ursprüngliche Kontexte vergessen sind, beladene Logos ist das Inventar des
Vorstellens, die Quelle der vor dem Vorgestellten im Voraus gestellten, es
verstellende und entstellende Bestimmtheiten.
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