Die narzisstische Omnipotenz des Rechts als Macht oder wie ist die Konkretheit des Lebens möglich
Zusammenfassung
Der Aufsatz geht von der Frage aus, wann das menschliche Leben in seiner
unentbehrlichen gesellschaftspolitischen Dimension wirklich ist. „Wirklich“
heißt hier erstens: einheitlich, selbstidentisch, und damit zusammenhängend:
über die Versorgung seines bloßen Fortbestands hinausgehend. Diese Frage ist in
drei „dialektischen“ Schritten entfaltet.
Der erste Schritt vollzieht Carl Schmitts Liberalismus-Kritik kurz nach. Nach
Schmitt beruht diese Gestaltung des gesellschaftspolitischen Lebens auf der
Trennung von Öffentlichem und Privatem, Normativem und Faktischem. Die
Privatleute treten in die Öffentlichkeit ein und werden normschaffend so, dass
sie die Macht ihrer faktischen Stellung deaktivieren, indem sie diese in
Sprache umwandeln, und zwar: in die Sprache der Diskussion. Die Aufhebung der
Macht des Lebens in der öffentlichen Sphäre birgt in sich die Möglichkeit für
eine Virtualisierung der öffentlichen Ordnung, mithin für eine Entzweiung und
Verstellung des Lebens in einer seiner wesentlichen Modalitäten. Die Publizität
wird zu einem Imaginären, worin die satanisch-anonymen Kräfte, welche das
faktische Leben ausprägen, nicht präsentiert sind.
Die Lichtung, in der das Leben einen Ausweg aus seiner Kapsulierung im
Imaginären finden kann, indem es seine der äußeren Wirkungen bloßgestellten
Faktizität integriert, nennt Schmitt mit Begriffe wie Ausnahmezustand und
Souveränität. Sie ist ein Durchbruch in der wurzellosen, auf der faktisch nicht
verbürgten Sprache des „ewigen Gesprächs“ gründenen Normativität. Das Recht
lässt das Leben dadurch seine Entzweiung überwinden und nach draußen gehen,
dass es mit der Macht des Lebens verschmilzt, d.h. sich selbst als inhaltlich
fixierte Ordung suspendiert. Es wird unreferentiell, ohne zugleich seine
Geltung zu verlieren. Die ekstatische Offenheit, die Arche, von der aus der
Souverän das Leben wirklich sein läßt, ist der Indifferenzpunkt von Normativem
und Faktischem, der nicht in ihrer unmittelbaren Identität, sondern in deren
doppelten Negation besteht. Somit wäre es auch gleichgültig, ob die souveräne
Macht auf Gott oder auf das Volk zurückgeht.
In beiden Fällen aber setzt die Identität von Recht und Leben eine Homogenität
des Gemeinlebens voraus. Für Schmitt ist diese nicht mit Unifizierung
gleichbedeutend. Die Masse sei ein Produkt des Kurzschlusses zwischen der
Demokratie und der liberalen Idee von abstrakter Menschengleichheit. Das
wirkliche Gemeinleben wäre nur möglich, wenn die faktischen Ungleichheiten im
Licht der Öffentlichkeit erscheinen. Als ein Mittel zur Begründung dieser
Möglichkeit ist Schmitts Begriff des Nomos angesehen. Der Nomos ist die
konkrete Stellung-Nahme im sozialen Raum, die soziale „Leiblichkeit“ des
Lebens. Diese Positionierung ist keine Protuberanz des bloß faktischen Lebens,
da sie sich in der Welt des Wortes vollziehen, öffentlich bekundet und
öffentlich anerkannt sein soll. Der Nomos ist die ursprüngliche Ordnung des Soziallebens,
worin alle Aspekte seiner Organisation wurzeln. Der Liberalismus, der diese
Ur-Teilung hinter der Fassade der fiktiven Gleichheit verdrängt, arbeitet auf
ihre Dämonisierung, auf ihre Verwandlung in eine verschleierte Macht hin.
Die Frage nach den geschichtlichen Referenzen der Idee von Nomos ist beiseite
gelassen, um in einem weiteren Schritt zu kommentieren, wie Schmitt den Vollzug
einer konkreten Ordung im Kontext des modernen Territorialstaats anvisiert. Hier
wird die von der Gestalt des Souveräns vermittelte Identität des Gemeinlebens
und seiner rechtlichen Repräsentation dadurch ermöglicht, dass der Bürger
bereit ist, sein Leben der Wirkung eines noch unbekannten Gesetzes
bloßzustellen und unter es zu subsumieren. Derart gewinnt einen neuen Sinn die
These, die konkrete Sozialordnung bedürfe eines homogenen Soziallebens: dieses
Leben wird mittels einer Ausschließung des Heterogenen hergestellt. Die
Rechtsordnung schließt das Leben ein, indem sie es gerade in seinem Ansich
ausschließt. Es stellt seinen bloßen Bestand durch seine Entschlossenheit sicher,
in der eigenen Möglichkeit unterzugehen (eine Parodie des heideggerschen
Sein-zum-Tode). Die aus der liberalen Diskussion hervorgegangenen gespenstischen
Normen stellen einen Abfall vom Wesen des Rechts dar, weil sie das Leben unter
sich nur virtuell subsumieren, ohne imstande zu sein, es auch faktisch zu „bearbeiten“.
Zusammen mit Giorgio Agamben ist auf Schmitts Souveränitätsbegriff Walter
Benjamins Auffassung bezogen, der zufolge sich das Leben im Feld des Rechts
durch eine mythische Struktur auszeichnet. Dieses Leben ist a priori
verschuldet und schon immer darauf abgestellt, sich selbst zu erkaufen, da es einem
noch nicht existierenden Gesetz untergestellt sein wird. Zudem erkauft es sich
selbst als bloßes, natürliches Leben. Somit, zumindest unter modernen
Bedingungen, macht die Anerkennung der Autorität einer nicht virtualisierten
lebendigen Macht das Leben wieder unwirklich, indem sie es auf eine rituell-szenische
Weise gestaltet. Es kann nicht nach draußen gehen, weil ihm sein imaginäres
omnipotentes Ich die Falle der Schuld gestellt hat, weil dort, im draußen, es
ohne Recht zum Leben sein wird.
Im letzten Schritt ist die Weise, worauf das Gemeinleben wirklich sein
kann, in einer von Benjamin beeinflussten Agambens Strategie gesucht, welche
sich gegen Schmitts Versuch richtet, die Identität von Recht und Macht im
christlichen messianischen Ereignis zu fundieren. Nach Schmitt erhält die
machthaberische Stellvertretung Christi den in der Offenbarung eröffneten
Indifferenzpunkt von Normativem und Faktischem, der ihre doppelte Negation ist.
Für Agamben ist die Offenbarung in Jesus Christus zugleich die Offenbarung des
Geheimnisses, dass das Gesetz gerade die Gesetzlosigkeit, die Identität von
Recht und Macht im Ausnahmezustand voraussetzt. Das messianische Ereignis zerbricht
diese Identität durch eine Virtualisierung des Gesetzes, welche die in ihm verschleierte
Macht deaktiviert. So kehrt der Gedankengang als ob dort zurück, wo er
angefangen hat. Aber in einer von Agamben aufgenommenen Benjamins Auslegung der
Paulus-Botschaft steckt die Möglichkeit, dies in einem anderen Sinn zu
passieren. Die Auslegung nämlich, dass das Natürliche sich eben dann auf die
Erlösung bezieht, wenn es unerlöst, auf sich selbst verlassen ist. Die
Offenbarung des Heilsplans Gottes ließe sich mithin als die Eröffnung eines
Bereichs denken, worin das Menschliche sich selbst sowohl dem Recht als auch
der Natur gegenüber vorbehält. Das Menschliche könnte wirklich sein, aus dem
mythischen Kreislauf des Rechts und des bloßen Lebens erlöst werden, indem es sich
gerade als deren allegorische Repräsentation fungieren lässt. Seine eigene
Stelle eröffnet sich erst dadurch, dass es an ihrer Stelle nur als ob steht.
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